„Verkehrswende ist Gesellschaftswende“: Fachkolloquium deutscher Verkehrsökolog:innen tagt an der TU Dresden. / Dresdner Verkehrsökologe Prof. Udo Becker nach 27 Jahren an der TU Dresden verabschiedet.

Alle reden von der Verkehrs- bzw. Mobilitätswende, doch was ist damit gemeint? Diskussionen, Vorschläge und Kritik dazu prägen die aktuelle Debatte sowohl auf kommunaler als auch auf Länder- und Bundesebene. „Dabei werden in aller Regel Maßnahmen diskutiert, die eine solche Wende befördern sollen oder ihr entgegenstehen. Weniger klar ist, welchen übergeordneten Prinzipien, Zielen und Ansatzpunkten eine Verkehrswende folgen soll“, sagt Prof. Udo Becker, Leiter der Professur für Verkehrsökologie an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden.

Für die Diskussion und Klärung dieser Fragestellungen fand am 15. September 2021 ein Fachkolloquium deutscher Verkehrsökolog:innen an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ statt. Eingeladen hatten Prof. Udo Becker und sein Team von der Professur für Verkehrsökologie. Die rund 40 Teilnehmenden – darunter Vertreter:innen deutscher Hochschulen, vom Umweltbundesamt, vom Sächsisches Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, von der Verkehrsplanung Dresden und auch von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH – diskutierten dabei die vielfältigen Aspekte und Teilgebiete einer „wirklichen“ Verkehrswende. Alle stimmten darin überein, dass es mit dem Austausch von Motoren und dem Bemühen, möglichst klimaneutral zu werden, keinesfalls getan sei: Verkehrswende muss alle Verkehrsträger und alle gesellschaftlichen Bereiche umfassen. Sie ist viel grundlegender als bisher diskutiert wird, so der gemeinsame Tenor. „Eine echte Verkehrswende ist auch eine Gesellschaftswende“, sagt Udo Becker.

Papier soll Akteur:innen bei Argumentation zur Verkehrswende unterstützen

Höhepunkt der Fachkonferenz war die Verabschiedung der „Dresdner Erklärung zur Verkehrswende“. Darin betonen die Unterzeichnenden, dass das übergeordnete Ziel allen Handelns im Verkehr die Sicherung von Mobilität sei. Damit wird gleich am Anfang des Papiers betont, „dass es hier nicht um Verbote oder den erhobenen Zeigefinger geht“, erklärt Udo Becker. Vielmehr sollen die zehn Punkte eine Unterstützung für die Argumentation rund um das Thema Verkehrswende sein. „Wir sprechen damit alle an, die sich entweder beruflich in Kommunen, Ministerien, Firmen oder NGOs oder aber im Privaten in Vereinen, Organisationen bzw. im Ehrenamt damit beschäftigen“, so der Dresdner Verkehrsökologe.

Als ein Unterziel der Verkehrswende wird in dem Argumentationspapier der „minimale Verkehrsaufwand bei Abdeckung aller als politisch angemessen definierten Mobilitätsbedürfnisse“ definiert. Kern dessen sei ein „Wechsel von der Verkehrsattraktivierung hin zur Mobilitätssicherung“. Die Gestaltung eines „wirklich klimaneutralen“ Verkehrs solle auf den Prinzipien Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsverbesserung aufbauen, „in enger Integration mit Raumplanung, Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Gesundheitspolitik und Schulpolitik“. Resilienz und hohe Lebensqualität werden als strategische Zielorientierungen genannt. Bei der Umsetzung dürften nicht nur die Interessen heutiger Nutzer:innen berücksichtigt werden, sondern auch die betroffener „anderer Menschen“, „anderer Räume“ und „anderer Generationen“. Die Unterzeichnenden betonten die Verantwortung der Verkehrsplanung für die Gestaltung attraktiver Straßenräume und damit lebendiger Städte.

Prof. Udo Becker – mehr als drei Jahrzehnte auf Mission für die Verkehrsökologie

Für Prof. Udo Becker stellte die Zusammenkunft der Verkehrsökolog:innen den krönenden Abschluss seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Professor und Wissenschaftler dar, die am 30. September 2021 mit dem Eintritt in den Ruhestand endet. Udo Becker, 1957 in Schwenningen/Baden-Württemberg geboren, leitet seit 27 Jahren die Professur für Verkehrsökologie an der TU Dresden. Er ist einer der renommiertesten und oft interviewten Verkehrsökologen in Deutschland. Faktensicher, streitbar – aber stets fair und humorvoll ist die Aufklärung zu Verkehr und Ökologie seit mehr als drei Jahrzehnten seine wissenschaftliche Mission, um „über Wissensvermittlung Mobilität auch für die Zukunft zu sichern“, wie er sagt. In manchen Jahren kam er auf rund 40 Vorträge vor Mitarbeitenden aus Kommunen, Ministerien oder NGOs. Hinzu kamen viele andere Forschungsprojekte in Deutschland und Europa sowie Weiterbildungslehrgänge zum Mobilitätsmanagement für Mitarbeitende in Stadtverwaltungen u. a. in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen.

Tausende Studierende mit Vorlesungen begeistert und geprägt

An seiner Vorlesung „Umwelt und Verkehr“ nahmen jährlich rund 300 Studierende aus bis zu 12 Studiengängen teil – rund 8.000 junge Menschen in 27 Jahren. Dies sei einer der Hauptgründe für den studierten Wirtschaftsingenieur gewesen, 1994 nach Stationen an der Universität Karlsruhe und bei der Prognos AG in der Schweiz an die TU Dresden zu wechseln: „Das alte Ziel von immer mehr und immer schnellerem Verkehr führt in die Sackgasse, und wir wissen das. Mein Ziel war es deshalb, mit den Studierenden Konzepte zu entwickeln, wie denn Mobilität und Klimaschutz zusammen funktionieren können. Ich freue mich sehr, wenn unsere Absolvent:innen nach dem Studium in Verwaltungen, Ministerien oder Planungsunternehmen mithelfen, das umzusetzen. Da ist jetzt etwas in der Welt, das weitererzählt, das verbreitet und realisiert wird“, sagt der Wahl-Dresdner, der den Umzug von Basel nach Dresden nie bereut hat.

Seniorprofessur mit Schwerpunkten auf internationalen Projekten und Lehrformaten

So ganz trennt sich Udo Becker ab Oktober aber nicht von „seiner“ Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“. Als Seniorprofessor bleibt er ihr erhalten. Dann möchte er seine Arbeitsschwerpunkte auf internationale Forschungsprojekte und auch auf andere Lehrformate legen. Er schwärmt: „Nirgends auf der Welt gibt es so etwas wie diese Fakultät, eingebettet in eine Stadt und eine Region, die so spannend ist, und mit vielen internationalen Kontakten – insbesondere traditionell auch in den osteuropäischen Raum. Ich freue mich, hier noch etwas länger wirken zu dürfen.“

Darüber freuen sich auch die Angehörigen der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“: „Ich bin sehr froh, dass Udo Becker unsere Verkehrsthemen über viele Jahre mit viel Herz und Sachverstand mitgeprägt hat. Für sein Lebenswerk bis hierher sei ihm herzlich gedankt“, würdigt der Dekan der Fakultät, Prof. Günther Prokop, seinen geschätzten Kollegen und ergänzt: „Die Bedeutung der Verkehrsökologie als Fachgebiet wird in Zukunft weiter zunehmen. Es ist für die Fakultät ein großes Glück, dass Udo Becker als Seniorprofessor bei uns bleibt und wir gemeinsam die Mobilität der Zukunft gestalten können.“

Im Anschluss an die Fachkonferenz fand die offizielle Verabschiedung von Udo Becker an der Fakultät statt.

Prof. Udo Becker

© Andrea Surma/FVW

Leiter der Professur für Verkehrsökologie
Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", TU Dresden
E-Mail: udo.becker@tu-dresden.de

Nirgends auf der Welt gibt es so etwas wie diese Fakultät, eingebettet in eine Stadt und eine Region, die so spannend ist, und mit vielen internationalen Kontakten.

Prof. Udo Becker, Leiter der Professur für Verkehrsökologie an der TU Dresden

In der Vorlesung "Verkehr und Umwelt" haben rund

8.000

Studierende Udo Becker in den vergangenen 27 Jahren zugehört.