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Wissenschaft, Unternehmen und Kommunen im Austausch
Möglichkeiten und Herausforderungen einer datenzentrierten Verkehrsplanung: Fachveranstaltung der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e. V. – Bezirksvereinigung Sachsen.
Mehrmals im Jahr lädt die Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e. V. – Bezirksvereinigung Sachsen zu Fachveranstaltungen mit Podiumsdiskussionen ein. So auch am 17. Oktober, diesmal in die Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden. Das Thema des Abends gewinnt aktuell immer mehr an Bedeutung: Wie uns Daten bewegen – Möglichkeiten und Herausforderungen einer datenzentrierten Verkehrsplanung.
Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kommunen gaben Einblicke, wie Daten heute gewonnen, aufbereitet und genutzt werden, um insbesondere den Herausforderungen aus Klima- und Verkehrswende zu begegnen. So ging es beispielsweise um neue Methodiken, Verkehrsdaten zu sammeln und deren Anwendung.
Als Gäste eingeladen waren:
- Prof. Monika Sester, Institut für Kartografie und Geoinformatik, Leibniz Universität Hannover
- Dr. Jan Kätker, Geschäftsführer VMZ – Verkehr Mobilität Zunkunft – Berlin
- Dr. Martin Schreiner, Mobilitätsreferat Stadt München, Leiter Geschäftsbereich 1 „Strategie“ und sein Kollege Attila Lüttmerding, Abteilungsleiter Grundlagen und Daten
- Dr.-Ing. Sven Lißner, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Verkehrsökologie der TU Dresden
Moderiert durch Professorin Regine Gerike, Dekanin der Fakultät und Leiterin der Professur für Mobilitätssystemplanung der TU Dresden, fand im Anschluss an die Kurzreferate eine Podiumsdiskussion statt, bei der Fragen rund um Datenqualität, Datenherkunft und Kommunikation aufgegriffen wurden und auf die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis geschaut wurde.
Kurzreferate: Einblicke in aktuelle Forschung / Arbeit rund um Daten und Verkehrsplanung
Prof. Monika Sester stellte den „Mobile Mapping Van“ als neue Methode der Datengenerierung vor. Dabei handelt es sich um ein Auto, bestückt mit Sensoren und Kameras, welches durch die Straßen Hannovers fährt und eine Momentaufnahme der Umgebung macht. Bei mehrfachen Wiederholungen an einem Tag können Veränderungen der Umgebung aufgezeichnet werden, z. B. Lieferzeiten durch Dienstleister wie der Post oder die Leerung der Mülltonnen. Mit diesen Informationen werden Untersuchungen zur Parkraumoptimierung der Anwohner oder zur Routenoptimierungen für Dienstleister durchgeführt. Erste Tests seien bereits erfolgreich im Stadtgebiet von Hannover durchgeführt worden, so die Wissenschaftlerin.
Von Seiten der TU Dresden stellte Dr. Ing. Sven Lißner die Rolle und Anwendung digitaler Radverkehrsdaten am Beispiel des Projektes MoveOn vor. Hierbei wurden Test-Proband:innen mit Smartphones auf dem Fahrrad durch Dresden geschickt, wodurch „sehr gute Daten“ entstanden seien und das kommunale Interesse daran entsprechend hoch gewesen sei. Um Radverkehrsdaten deutschlandweit zu generieren, arbeiten Sven Lißner und seine Kolleg:innen an der Professur für Verkehrsökologie seit einigen Jahr mit der Initiative „Stadtdradeln“ zusammen, welche sich vor allem mit einer stark steigenden Teilnehmendenzahl auszeichnet. Weiterhin stehe die Wissenschaft vor Problemen in der Datenanalyse, da zum Beispiel manchmal Autofahrten oder gar Flugreisen fälschlicherweise als Radfahrten erfasst und somit die Daten verfälscht werden.
Dr. Jan Kätzker von VMZ aus Berlin arbeitet in den Bereichen Verkehrsberatung und App-Entwicklung. Er und sein Team gehen der Frage nach, ob Datenerhebung als Geschäftsstrategie wirtschaftlich betrieben werden kann. Großes Interesse daran hätten Kommunen, da diese für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur verantwortlich seien und meist das entsprechende Budget fehle, um „teure Daten“ einzukaufen. Des Weiteren sprach Jan Kätzker das „Ökosystem der Mobilität“ an, in dem es nicht darum ginge, nur von A nach B zu kommen, „sondern auch, welche Angebote oder Maßnahmen wir hier in der Infrastruktur implementieren müssen“.
Dr. Martin Schreiner und Attila Lüttmerding vom Mobilitätsreferat aus München vertraten die Sicht der Kommunen und präsentierten Einblicke in die „Mobilitäts(daten)strategie der Stadt München“. Wichtige Indikatoren dabei seien Verkehrsaufkommen, Erreichbarkeit und Verkehrssicherheit. Hierfür werden bereits Daten von aufgestellten Sensoren und Mobilfunkdaten verwendet. In den vergangenen Jahren konnte die Stadt München einen Verkehrsrückgang von 20 bis 40 Prozent in der Innenstadt verzeichnen. Dies zeige, dass der Verkehrswandel im städtischen Umfeld bereits voranschreite. Beide gaben jedoch zu bedenken, dass eine deutschlandweite Verkehrswende nur geschafft werden könne, wenn der ländliche Verkehr ebenfalls derart reduziert werde.
Impressionen vom Gesprächsabend
Impressionen vom Gesprächsabend
Angeregte Podiumsdiskussion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Kommunen mit vielen Fragen aus dem Publikum
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden, basierend auf den vorangegangenen Präsentationen, einige Problematiken und unterschiedliche Sichtweisen besprochen.
Gefragt nach dem Woher? der Daten und der Rolle kommerzieller Anbieter sagte Dr. Martin Schreiner von der Stadt München: „Wir sammeln unsere Daten selbst und verzichten auf kommerzielle Anbieter.“ Das VMZ Berlin nutzt dagegen Daten der Privatwirtschaft, die durch den Einsatz von Sensortechnik generiert wurden.
Auch die Wissenschaft beteiligt sich an der Bereitstellung von Daten. Dazu Sven Lißner: „Wir beschäftigen uns vor allem mit den bisher vernachlässigten Modellen wie Fußverkehr oder Radverkehr, da hier Unternehmen nicht wirtschaftlich arbeiten können, um ein flächendeckendes Radnetz zu erhalten. Des Weiteren ist die Wissenschaft sehr gut in effizienter Datenspeicherung, weshalb wir hier eine moderierende Rolle einnehmen.“
Prof.in Monika Sester sieht in der kostenfreien Nutzung von Daten „kein dauerhaftes Geschäftsmodell, weshalb Kommunen den Wert in den Daten erkennen müssen. In der Datenanalyse steckt ein sehr großer Aufwand, der meist noch unterschätzt wird.“
Für den kommunalen Verkehrsplaner Attila Lüttmerding geht es weniger um die Daten an sich, sondern um die Frage, „wie viel eine Maßnahme bringt, beispielsweise die Trennung von Rad- und Verkehrsweg. Wir in den Kommunen möchten Ergebnisse und keine riesen Datenmengen.“
Denn die Größe der Datenmengen ist eine enorme Herausforderung – technisch wie analytisch. „Man kommt sehr schnell an seine Grenzen bei der Datensammlung, auch wenn man versucht die Daten auf das Nötigste zu reduzieren“, sagte dazu Verkehrsforscher Sven Lißner. Aus Sicht von Martin Schreiner „brauchen alle Kommunen eine Digitalisierungsstrategie, da eine effiziente Aufbereitung der Daten notwendig ist, um sie an die Politik weiterzugeben. Hier könnte die Wissenschaft unterstützen, da das Vertrauen in diese sehr hoch ist.“
Aus dem Publikum kam die Frage, ob und wie Daten helfen können die Verkehrswende zu unterstützen? Attila Lüttmerding war da skeptisch: „Mit Daten können wir das nicht. Alternativ müssen wir Möglichkeiten schaffen, zum Beispiel den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln im ländlichen Raum.“ Prof.in Regine Gerike sieht in Daten „ein sehr gutes Kommunikationsinstrument, um Veränderungen und Erfolge zu kommunizieren.“ Auch sei es aus ihrer Sicht wichtig, „dass die Bürgerinnen und Bürger mitgenommen werden, da diese die Daten zur Verfügung stellen“.
Es gab zahlreiche Fragen aus dem Publikum an diesem Abend, die auch nach mehr als zwei Stunden noch nicht erschöpft waren. „Das zeigt, wie hochspannend und aktuell das Thema ist“, so die Moderatorin. Die Gespräche gingen dann auch im Anschluss an die Veranstaltung angeregt weiter.
Originalautor
Fazit des Abends
Es werden bereits Daten in sehr großen Mengen gesammelt. Nicht immer ist bereits deren Anwendbarkeit klar. Das liegt auch an der hohen Dynamik des Verkehrssystems.
Eine der größten Herausforderungen für Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler Verwaltung ist es, die Qualität der Daten sicherzustellen und eine repräsentative Menge zu generieren. Die Bereitsteller der Infrastruktur streben nach Lösungen und möchten zu klaren Ergebnissen kommen. Hierfür ist eine Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft absolut notwendig um Daten günstig und somit zugänglich für möglichst viele Menschen zu machen, auch mit dem Hintergrund der Kommunikation zu den Bürgerinnen und Bürgern.
Hintergrund: Ziele der Münchener Mobilitätsstrategie
Die Mobilitätsstrategie der Stadt München umfasst 19 Teilstrategien. So soll beispielsweise der Stadtvekehr bis 2025 zu mindestens 80 Prozent durch abgasfreie Fahrzeuge, den öffentlichen Personennahverkehr, sowie Fuß- und Radverkehr stattfinden. Bis 2035 soll der Verkehr sogar klimaneutral sein.
Weiterhin umfassen die Ziele Veränderungen im Bereich "Shared Mobility" durch die Schaffung von 2.500 stationären Stellplätzen und die Errichtung von 200 Mobilitätspunkten. Des Weiteren möchte man unter dem Namen "Vision Zero" die Anzahl der Todesfälle im Stadtverkehr auf Null reduzieren.
Diese Ziele erfordern massive Investitionen und Optimierungen im Stadtverkehr um die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur zu maximieren.
Kontakte TU Dresden
Prof.in Dr.-Ing. Regine Gerike
Dekanin + Leiterin der Professur für Mobilitätssystemplanung
Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", TU Dresden
E-Mail: dekanin.vw@tu-dresden.de
Dr.-Ing. Sven Lißner
Wiss. Mitarbeiter
Professur für Verkehrsökologie
Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List", TU Dresden
E-Mail: sven.lissner@tu-dresden.de